Was unterscheidet ein klassisches Kraftwerk von einem virtuellen Kraftwerk? Gemeinsam ist beiden, dass sie Strom über das Stromnetz zu den Verbrauchern liefern. Aber wie sie diesen Strom erzeugen, darin unterscheiden sie sich erheblich. Grund dafür sind die Besonderheiten der neuen Energiewelt, die gerade entsteht und die alte Schritt für Schritt ablöst. Um also zu verstehen, wie virtuelle Kraftwerke funktionieren und was sie von den bisherigen Großkraftwerken unterscheidet, müssen wir uns zunächst mit der alten und der neuen Energiewelt beschäftigen.
Die alte Energiewelt ist zentral organisiert und zum Großteil nicht klimaneutral
Die alte Energiewelt ist zentral und hierarchisch organisiert. Ein paar tausend Kraftwerke mit bis zu sieben Blöcken erzeugen dort zentral den benötigten Strom. Diese Kraftwerke verbrennen klimaschädliche, fossile Energieträger wie Kohle, Erdgas oder Erdöl, um Wasser zu erhitzen und in Dampf umzuwandeln. Oder sie werden mit Kernenergie betrieben, deren Ende in Deutschland beschlossene Sache ist. Der Dampf wird in Stromgeneratoren gelenkt, in denen sich Turbinen schnell drehen und in einem Magnetfeld Strom erzeugen. Dieser Strom fließt über ein nach Spannungsebenen abgestuftes Leitungssystem dorthin, wo er gebraucht wird.
Die neue Energiewelt ist dezentral
Statt in wenigen tausend Kraftwerken erzeugen in der neuen Energiewelt Millionen Anlagen unterschiedlicher Größe den notwendigen Strom. Das können kleine private oder große gewerbliche Photovoltaikanlagen (PV) sein ebenso wie Windkrafträder, Wasserkraftwerke, Biogasanlagen oder Blockheizkraftwerke, die neben Wärme auch Strom erzeugen. Diese Anlagen leiten ihren Strom je nach Bedarf direkt zum Nachbarn oder über weite Strecken von Nord nach Süd, wie z. B. im Fall der großen Windparks in Nord- und Ostsee, deren Strom in Süddeutschland gebraucht wird.
Die neue Energiewelt ist dekarbonisiert
In der neuen Energiewelt wird bei der Erzeugung von Strom kein CO2 ausgestoßen, weil keine fossilen Energieträger zum Einsatz kommen. Der Strom entsteht, wie im Fall der PV-Anlagen, entweder direkt durch physikalische Prozesse, oder die Strom erzeugenden Generatoren drehen sich durch Naturkräfte wie den Wind oder fließendes Wasser. Allerdings wird es notwendig sein, in einer Übergangszeit auf hochflexible Gaskraftwerke zurückzugreifen.
Die neue Energiewelt wird vom Wetter beeinflusst
Da die neue Energiewelt Naturkräfte nutzt, die nicht konstant zur Verfügung stehen, müssen technische Systeme die Lücken füllen, die durch die Nichtverfügbarkeit der Naturkräfte entstehen. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, muss der Strom aus anderen Quellen kommen. Diese Quellen können Biogasanlagen, Wasserkraftwerke oder Stromspeicher sein sowie Energieträger, die aus überschüssigem Grünstrom hergestellt wurden: Wasserstoff, eFuels usw.
Die neue Energiewelt befindet sich im Übergang vom subventionierten zum funktionierenden Geschäftsmodell
Die Technologie, mit der die neue Energiewelt Strom erzeugt, war zu Beginn so teuer, dass sie nicht kostendeckend betrieben werden konnte. Weil aber der Umbau des Energiesystems aus Gründen des Klimaschutzes zwingend erforderlich ist, hat der Gesetzgeber beschlossen, Strom aus erneuerbarer Energie zu fördern. Alle Stromkunden zahlen eine entsprechende Abgabe, damit die Technologien wettbewerbsfähig werden können. Das ist inzwischen weitestgehend eingetreten. PV-Anlagen sind heute um ein Vielfaches leistungsfähiger und in der Anschaffung billiger als noch vor einem Jahrzehnt. Die Förderung wird daher langsam zurückgefahren. Nun müssen die Millionen Stromerzeuger ihren Strom verkaufen, wenn sie ihn nicht selbst verbrauchen.
Mit virtuellen Kraftwerken die Erzeugungslücken schließen
Virtual Power Plant (= virtuelles Kraftwerk) bezeichnet den Umstand, dass viele kleine Strom erzeugende Anlagen der neuen Energiewelt vernetzt und gesteuert werden. So garantiert der Betreiber des Virtuellen Kraftwerkes dem Strommarkt die Lieferung einer bestimmten Menge Strom in einem festgelegten Zeitraum. Diese Liefergarantie wird an der Leipziger Strombörse gehandelt, der zentralen Schaltstelle für den Energiemarkt in Deutschland.
Die Garantie, zu einem festgelegten Zeitpunkt eine bestimmte Menge Strom zu einem ausgehandelten Erzeugungspreis zu liefern, ist entscheidend für eine ausfallfreie Energieversorgung. Strom muss genau dann erzeugt werden, wenn er gebraucht wird.
Energieversorger können auf Grund der Erfahrung vieler Jahrzehnte ziemlich genau vorhersagen, wie viel Strom sie an einem bestimmten Tag für ihre Kunden brauchen. Sie kaufen daher entsprechende Strommengen in Voraussicht ein, ja, sie sind sogar dazu verpflichtet. Denn Stromhändler dürfen nur den Strom verkaufen, dessen Erzeugung sie in der Zukunft nachweisen können. An der Strombörse in Leipzig, an der diese Erzeugungskapazitäten gehandelt werden, kann jeder Strom nur einmal verkauft werden.
In der alten Energiewelt verkauften die Energieversorger im Wesentlichen den Strom, den sie selbst in Kraftwerken erzeugt haben. In der neuen Energiewelt gibt es viel mehr Stromlieferanten, auch solche, die keine einzige Wattstunde Elektrizität selbst erzeugen, sondern sich ausschließlich an der Strombörse versorgen.
Die vielen kleinen und großen Erzeuger der neuen Energiewelt haben keinen Zugang zur Strombörse. Zum einen weil nur Fachleute dieses relativ komplexe Handelssystem richtig bedienen können. Zum anderen, und das ist weit wichtiger, müssen Erzeuger, die an der Strombörse Strom verkaufen, garantieren können, dass sie ihn auch liefern. Der Besitzer einer Photovoltaikanlage mit 20 kWpeak kann aber nicht garantieren, dass übernächste Woche wirklich die Sonne scheint, sodass er seine 10–15 kW wirklich liefern kann.
Virtuelle Kraftwerk erfüllen also zwei wichtige Funktionen, wenn sie viele tausend kleine Erzeugungsanlagen vernetzen und zusammenfassen.
- Virtuelle Kraftwerke ermöglichen kleinen Stromerzeugern den Marktzugang.
- Virtuelle Kraftwerke stabilisieren das Stromnetz.
Marktzugang für stromerzeugende Anlagen ohne Subvention
Neue Anlagen, die mit erneuerbarer Energie Strom erzeugen, diesen zumindest teilweise in das Netz einspeisen und dafür einen festen Preis erhalten, müssen sich nicht darum kümmern, wie ihr Strom verkauft wird. Das Gesetz verpflichtet die Stromnetzbetreiber in diesem Fall, den Strom zu einem Garantiepreis abzunehmen. Wenn allerdings diese Subvention nach 20 Jahren ausläuft, entfällt auch die Abnahmepflicht. Die Zahl der subventionslosen Anlagen wird also in Zukunft stetig steigen. Schon jetzt erhalten außerdem neue große Anlagen zum Beispiel für Sonnenstrom gar keine Zuschüsse mehr, weil sie bereits kostendeckend betrieben werden können.
All diese Anlagen ohne Abnahmegarantie wollen und müssen ihren Strom, den sie nicht selbst verbrauchen, jedoch so marktgerecht wie möglich verkaufen. Das ist am besten an einer offenen Börse zu erreichen, an der alle Teilnehmer des Strommarktes mitwirken. Als einzelner, kleiner Minierzeuger hat man da aber wenig Chancen. Deswegen ist es sinnvoll, sich zusammenzuschließen, um eine Marktmacht aufzubauen und bessere Preise zu erzielen.
Garantie, dass verkaufter Strom auch geliefert wird
Es leuchtet ein, dass an der Strombörse nur Strom zum Verkauf angeboten werden darf, dessen Lieferung garantiert ist. Im normalen Handel läuft das ja genauso: Ein Verkäufer darf nur anbieten, was er auch liefern kann. Das Problem beim Strom ist, dass er nicht oder kaum vorrätig gelagert werden kann, sondern in dem Moment erzeugt wird, in dem der Verbraucher ihn abruft. Wenn ich also Strom verkaufe, dann verkaufe ich nicht Strom im eigentlichen Sinne, sondern das zukünftige Recht, Strom von mir zu beziehen. Der Besitzer eine Solaranlage oder eines Windrades kann das aber nicht garantieren, weil er schlicht nicht weiß, wie nächste Woche oder in drei Monaten das Wetter wird. Virtuelle Kraftwerke können das aber garantieren. Sie sind so organisiert, dass sie unterschiedliche Erzeugungsquellen untereinander ausgleichen. Wenn die eine Anlage zu wenig liefert, weil zum Beispiel der Strom vor Ort für Eigennutzung gebraucht wird, schließen eben andere Anlagen die entstandene Lücke. Nur im Verbund können sich tausende Anlagen zu etwas verpflichten, was sie auf sich allein gestellt nicht können: Die Lieferung einer exakten Menge Strom an einem genau definierten Zeitpunkt zu garantieren.
Virtuelle Kraftwerke sollen noch mehr können
Das neue Energiesystem muss trotz wetterabhängiger und somit schwankender Erzeugung stabil und verlässlich bleiben. Um das zu erreichen, kann man an unterschiedlichen Stellschrauben drehen. Man kann die Erzeugung beeinflussen, man kann energetische Puffer (Speicher) integrieren oder man kann den Verbrauch steuern (Lastverschiebung), also die Menge des benötigten Stroms verändern.
Virtuelle Kraftwerke beeinflussen die Erzeugung von Strom
Bestimmte Anlagen, die in einem virtuellen Kraftwerk vernetzt sind, lassen sich so steuern, dass sie Strom bevorzugt dann erzeugen, wenn er gebraucht wird, und umgekehrt. Blockheizkraftwerke erzeugen zum Beispiel Wärme aus Erdgas, wenn ein Gebäude beheizt werden muss. Quasi als „Abfallprodukt“ wird dabei gleichzeitig Strom erzeugt. Innerhalb des Heizungssystems gibt es zudem einen Heißwasserspeicher. Normalerweise erzeugen BHKWs nur dann Strom, wenn Wärme benötigt wird. Durch einen Heißwasserspeicher lässt sich das allerdings insofern ändern, dass das BHKW nun auch dann in Betrieb gesetzt wird, wenn man Strom benötigt. Die dabei entstehende Wärme wird eben in den Speicher gepuffert. Ein virtuelles Kraftwerk würde nun all diese Informationen auswerten – Status des Stromnetzes, Heizbedarf vor Ort, Möglichkeit der Pufferung usw. – und daraus einen entsprechenden Impuls an die individuelle Anlage errechnen. Mit einem Netz von tausenden Anlagen lassen sich damit schon erhebliche Erzeugungskapazitäten mobilisieren.
Virtuelle Kraftwerke füllen und leeren Stromspeicher
Die neue Energiewelt braucht unbedingt Stromspeicher. Ein virtuelles Kraftwerk greift auf Speichersysteme zu und zwar in beide Richtungen. Wenn die vernetzten Anlagen mehr Strom erzeugen, als gebraucht wird, könnte dieser in leere Speicher geleitet werden. Solche Stromspeicher existieren inzwischen in vielen Gebäuden als Lithium-Ionen-Akkus, die Strom aus PV-Anlagen zwischenspeichern. Oder sie entstehen im großtechnischen Maßstab. Aber auch Millionen Elektroautos, die teilweise über große Akkus verfügen, lassen sich zum zeitweiligen Speichern nutzen. Im virtuellen Kraftwerk wären all diese Anlagen vernetzt. Es findet ein ständiger Austausch statt, welche Speicherkapazitäten zur Verfügung stehen. Jeder, der einen Speicher besitzt, kann den Platz darin an das virtuelle Kraftwerk „vermieten“.
Virtuelle Kraftwerke optimieren den Stromverbrauch
Stellen Sie sich vor, Sie besitzen eine moderne Waschmaschine mit integriertem Trockner. Im Prinzip ist Ihnen egal, wann die Maschine tagsüber läuft, Hauptsache die Wäsche ist abends sauber und trocken. Sie befüllen morgens die Maschine, machen alles bereit und dann teilen Sie dem virtuellen Kraftwerk mit: Bitte bis heute Abend sauber machen! Dass Sie damit Ihre Waschmaschine dem virtuellen Kraftwerk zur Verfügung stellen, wird Ihnen durch einen niedrigeren Strompreis gedankt. Dem virtuellen Kraftwerk stehen nun tausende von Waschmaschinen zur Verfügung, die es in einem Zeitfenster von 10 Stunden betreiben kann. Werden die Laufzeiten der Maschinen über den Tag verteilt, um die Stromnachfrage auszugleichen und Lastspitzen mit hohem Strombedarf zu vermeiden? Oder werden alle Maschinen genau zur Mittagszeit dieses sonnendurchfluteten Tages gestartet, um die riesige Menge an erzeugtem Solarstrom zu verbrauchen? Welche Entscheidung das virtuelle Kraftwerk trifft, hängt von den Umständen ab. Im Prinzip sind derartige Verschiebungen des Stromverbrauchs in vielen Szenarien möglich, insbesondere im industriell-gewerblichen Bereich. Das virtuelle Kraftwerk verarbeitet all diese Signale und entwickelt daraus ein sinnvolles Handlungs- und Steuerungskonzept.
Erdgas Südwest fängt an
Virtuelle Kraftwerke sind heute bereits über den Status einer wünschenswerten, in ferner Zukunft zu realisierenden Einrichtung hinaus. Erdgas Südwest zum Beispiel ist in diesem Bereich seit längerem tätig. Im Energiekontor bei Erdgas Südwest werden große Anlagen, die Strom aus Erneuerbaren Quellen erzeugen, bei der Vermarktung unterstützt. Freiflächen-PV, Windparks oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die über mehr als 100 kWpeak installierte Leistung verfügen, können an der so genannten Direktvermarktung teilnehmen. Erdgas Südwest verkauft für diese Partner deren Strom an der Strombörse.
Ein weiteres Projekt befindet sich noch in der Pilotphase. Dabei werden große Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ab 450 kW elektrischer Leistung, die gleichzeitig Wärme und Strom erzeugen, gesamtwirtschaftlich mit Hilfe eines Algorithmus optimiert. Die so erwirtschafteten Mehrerlöse können für Altanlagen mit ausgelaufener Förderung einen Weiterbetrieb ermöglichen und bei förderfähigen Anlagen eine schnellere Amortisationszeit ergeben.
Der südwestdeutsche Energieversorger EnBW, Muttergesellschaft der Erdgas Südwest, hat bereits ein innovatives Angebot in diesem Bereich vorgelegt. Mehr Informationen über das Virtuelle Kraftwerk der EnBW auf www.interconnector.de.
Fazit: Virtuelle Kraftwerke sind wichtig für die Energiewende
Virtuelle Kraftwerke nehmen eine wichtige Mittlerfunktion in der neuen Energiewelt ein. Sie organisieren tausende kleine und mittelgroße Erzeuger und vermarkten deren erzeugten Strom sach- und marktgerecht an der Strombörse. Damit wird der Betrieb der Anlagen auf Dauer auch wirtschaftlich attraktiv. Das Stromnetz wird stabilisiert, weil Erzeugungskapazitäten organisiert und garantiert werden können. Die neue Energiewelt mag komplizierter klingen als die alte, aber sie lässt sich durch die großen technologischen Fortschritte bereits heute betriebswirtschaftlich betreiben und sie hat den einen entscheidenden Vorteil: Sie ist klimaneutral. Virtuelle Kraftwerke leisten dabei einen wichtigen Beitrag.
Links
Weitere Informationen über die Direktvermarktung von Stromerzeugungsanlagen durch Erdgas Südwest.
100% Ökostrom mit rundum Versicherungsschutz für Ihr Zuhause
Schlüsseldienst, Garantie-Verlängerung uvm.
Stromtarif abschließen